Unbefriedigende sexuelle Beziehungen
Sexuelle Diversität ist zunehmend gesellschaftlicher Konsens und unterliegt stetig gesellschaftlichem Wandel. Im neuen Diagnosemanual (ICD-11) soll die gesamte Bandbreite menschlicher Sexualität angemessener Raum gegeben werden. Derzeit basieren manche Formulierungen und Störungskategorien noch auf der „Heteronormativität“ (). Das bedeutet, dass die Annahme gemacht wird, dass Frau und Mann sexuell zusammen sind und dass ein bestimmter Geschlechtsakt (Penetration der Vagina mit dem Penis) das Ziel dieses Zusammenseins ist. Außerdem basiert die Konzeptualisierung im ICD-10 auf veralteten, traditionellen Annahmen über den sexuellen Prozess. Früher ging man davon aus, dass esDiese Annahmen hielten ungewollt viele Mythen über Sexualität aufrecht (z.B. der sexuelle Prozess ist bei allen Geschlechtern gleich, alle Menschen erleben spontan körperliche sexuelle Lust, „Zusammen zum Orgasmus kommen“ als anzustrebendes Ziel). Neuere Forschung und Theorien weisen darauf hin, dass die traditionellen Annahmen etwas besser auf Menschen passen, die einen Penis haben, aber tatsächlich auf Frauen und Menschen mit Vagina nicht zutreffen, zumindest nicht in Langzeitbeziehungen (Basson, 2002). Neuere Theorien und Studien gehen davon aus, dass es sich bei sexueller Erregung wahrscheinlich grundsätzlich um eine Reaktion auf sexuelle Reize handelt, nicht etwas, was spontan entsteht. Unterschiedlichen Komponenten der Sexualität überlappen eher, als das Verlangen der Erregung gesetzmäßig vorausgeht (Chivers et al., 2017).
Alle verschiedenen Arten von sexuellen Beziehungen und Menschen jeder sexueller und geschlechtlicher Orientierung können von Problemen im sexuellen Bereich betroffen sein. Dies kann auch unabhängig von Partnerschaft der Fall sein. Beim sexuellen Geschehen wirken komplexe psychologische, zwischenmenschliche, soziale, kulturelle, körperliche und geschlechtliche Prozesse zusammen und beeinflussen einander.
Sogenannte Sexuelle Funktionsstörungen treten sehr häufig auf. In Deutschland gab es bis zur GeSID-Umfrage (Gesundheit und Sexualität in Deutschland; 2017 – aktuell) keine umfassenden repräsentativen Daten zum sexuellen Verhalten der Bevölkerung. Die GeSID ergab, dass es bei 13,3 % der sexuell aktiven Männer und bei 17,5 % der sexuell aktiven Frauen zu einer stark beeinträchtigenden sexuellen Dysfunktion gemäß diagnostischen Leitlinien kam (Briken et al., 2020[1]).
Sexuelle Störungen haben alle gemeinsam, dass die angestrebte sexuelle Aktivität oder Beziehung nicht befriedigend erlebt werden kann. Eine sexuelle Störung kann Auswirkungen auf Partnerschaften haben. Aber auch Probleme in Beziehungen oder individuelle Probleme können zu sexuellen Problemen führen. In der Sexualität können sich aktuelles Stresserleben oder länger bestehende Konflikte manifestieren. Es ist aber auch möglich, dass sexuelle
Probleme in stabilen und gesunden Partnerschaften auftauchen, oder die Sexualität eines Paares, das viele Konflikte hat, nicht beeinträchtigt ist.
Die unten angeführten Probleme tauchen bei vielen Menschen gelegentlich auf. Erst wenn die Probleme mehrere Monate bestehen, können Dysfunktionen oder Störungen der sexuellen Gesundheit diagnostiziert werden.
[1] Prävalenzschätzungen sexueller Dysfunktionen anhand der neuen ICD-11-Leitlinien (aerzteblatt.de)
DYSFUNKTION VERMINDERTEN SEXUELLEN VERLANGENS
„Die Dysfunktion verminderten sexuellen Verlangens ist durch das Fehlen oder die deutliche Verringerung des Verlangens oder der Motivation zu sexuellen Aktivitäten gekennzeichnet, was sich durch eine der folgenden Eigenschaften äußert: 1) vermindertes oder fehlendes spontanes Verlangen (sexuelle Gedanken oder Fantasien); 2) vermindertes oder fehlendes reaktives Verlangen auf erotische Reize und Stimulation; oder 3) Unfähigkeit, das Verlangen oder Interesse an einer einmal begonnenen sexuellen Aktivität aufrechtzuerhalten. Das Muster des verminderten oder fehlenden spontanen oder reaktiven Verlangens oder der Unfähigkeit, das Verlangen oder Interesse an sexueller Aktivität aufrechtzuerhalten, ist episodisch oder anhaltend über einen Zeitraum von mindestens mehreren Monaten aufgetreten und geht mit klinisch signifikantem Leiden.“
Früher ging man davon aus, dass es sich bei sexuellem Verlangen um eine Art Trieb handelt, welcher beispielsweise dem Hunger ähnelt. Dies ist aber nicht zutreffend. Es ist sinnvoll, sexuelles Verlangen als motivationalen Zustand zu sehen, der von sexuellen Reizen hervorgerufen wird und von kontextuellen Faktoren beeinflusst wird. Sexuelles Verlangen ist daher nicht als stabile Eigenschaft einer Person zu sehen, sondern als veränderbarer Zustand. Neuere Forschung legt nahe, dass sexuelles Verlangen und sexuelle Erregung eher gleichzeitig entstehen, als das sexuelle Verlangen der Erregung zeitlich vorausgeht (Chivers et al., 2017).
Der ICD-11 entfernt sich somit von einer Defizit-Orientierung, hin zu der Frage: Welche Reize können sexuelles Verlangen / sexuelle Erregung hervorrufen und unter welchen äußeren individuellen und Beziehungs-Bedingungen ist dies der Fall?
Das hypoaktive sexuelle Verlangen ist von Asexualität zu unterscheiden. Asexuelle Personen leiden nicht darunter, dass Sexualität nicht Teil ihres Lebens ist.
„Dead Bedroom“ – Sexlosigkeit oder Sexlose Beziehung
Bedürfnisse sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich und auch Unterschiede im sexuellen Verlangen gehören zu Beziehungen dazu. Es kann auch zu erheblichen individuellen Schwankungen kommen. Wie oben schon beschrieben, ist es nicht sinnvoll, das sexuelle Verlangen als stabile Eigenschaft einer:s Partner:in zu sehen, sondern als Resultat von situationalen Reizen, biografischen Erfahrungen der Partnerpersonen und komplexen Beziehungsdynamiken. Die Häufigkeit von Sexualität unterliegt Schwankungen. Eine Beziehung
kann wenig oder keinen Sex beinhalten und trotzdem gesund sein. Wenn Menschen, die sich als asexuell definieren, zusammen sind, kann dies sogar genau das sein, was sie sich wünschen.
Jedoch kann es auch ungewollt zu wenig oder kaum Sexualität kommen. Manchmal spielen Mythen (s.o.) eine Rolle. Die Wirkung dieser Mythen in der eigenen Beziehung zu erkennen und zu entkräften kann ausreichen, das Problem zu lösen. Es kann aber auch eine sexuelle Störung zugrunde liegen, die dazu führt, dass sexuelle Kontakte gemieden werden. Hier kann individuelle Psychotherapie und/oder Paartherapie Abhilfe schaffen. Wenn keine diagnostizierbare Störung vorliegt, oder es hauptsächlich um Informationsvermittlung geht, kann eine Beratung oder ein Coaching in Anspruch genommen werden. Häufig, aber nicht immer, spielen neben Mythen bestimmte Beziehungsdynamiken eine Rolle, die unabhängig vom Gender der Partner:innen entstehen, oder auch durch Rollenstereotype verstärkt werden können. Nicht zuletzt können sich in der sexuellen Problematik unausgesprochene Beziehungskonflikte und/oder individuelle Themen abbilden.
Im Rahmen einer Beziehung, in der Uneinigkeit herrscht über die Häufigkeit von Sexualität, kann es auch zu Grenzüberschreitungen kommen. Weitere Informationen zu Partnergewalt finden Sie hier.
Sexuelle Aversion und mangelnde sexuelle Befriedigung
Hierbei wird sexuelle Aktivität vermieden, weil es eine intensive Furchtreaktion auslöst (sexuelle Aversion). Es kann aber auch sein, dass die sexuelle Aktivität stattfindet. Hierbei können alle sexuellen Reaktionen, einschließlich Orgasmus, erfahren werden. Jedoch findet die sexuelle Aktivität ohne entsprechende Lust statt (mangelnde sexuelle Befriedigung). Diese Störungskategorie entfällt im ICD-11. Die Quantität – also Häufigkeit – der Sexualität wird an sich nicht mehr in „gesund“ oder „nicht gesund“ eingeteilt. Es gibt weder ein „zu viel“ noch ein „zu wenig“, wenn die betroffenen Personen darunter nicht leiden. Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie zu viel mit sexuellen Themen beschäftigt sind (ugs. und veraltet „Sexsucht“), dann können Sie weiter unten Informationen finden.
Dysfunktion der sexuellen Erregung
Menschen mit einem Penis haben hierbei Schwierigkeiten, eine für einen befriedigenden penetrativen/ Geschlechtsverkehr notwendige Erektion zu erlangen oder aufrechtzuerhalten. Bei Personen mit einer Vagina ist zu wenig oder gar keine vaginale Lubrikation vorhanden (ugs. Bleibt das „Feuchtwerden“ aus). Neuere Forschung und Theorien zeigen, dass die Erektion des Penis / die Lubrikation der Vagina nicht (unbedingt) mit sexueller Erregung gleichzusetzen ist.
Dysfunktionen des Orgasmus
Das Problem ist ein gänzlich fehlender oder verzögerter Orgasmus. Dies kann alle Situationen betreffen. Die Orgasmusstörung kann allerdings auch nur in spezifischen Situationen auftreten. Im ICD-11 kann auch bei Männern, die ejakulieren eine Orgasmusstörung diagnostiziert werden, wenn die Ejakulation nicht mit einem subjektiven Orgasmuserleben oder sogar Missempfindungen einhergeht.
Dysfunktionen der Ejakulation
Dysfunktionen der Ejakulation beziehen sich auf Schwierigkeiten mit der Ejakulation bei Männern, einschließlich Ejakulationslatenzen, die als zu kurz (verfrühte Ejakulation) oder zu lang (verzögerte Ejakulation) empfunden werden. Das bedeutet, es kommt ungewollt zum schnellen Samenerguss oder zu großen Schwierigkeiten, zu ejakulieren.
Sexuelle Schmerz-Penetrationsstörung
Menschen können unabhängig vom Geschlecht Schmerzen beim Geschlechtsverkehr erleben.
Die Sexuelle Schmerz-Penetrationsstörung ist durch mindestens eines der folgenden Symptome gekennzeichnet
- ausgeprägte und anhaltende oder wiederkehrende Schwierigkeiten bei dem Aufnehmen eines Penis, Fingers, oder Sex-Spielzeugs in die Vagina. Einer der Gründe ist die unwillkürliche Anspannung oder Verspannung der Beckenbodenmuskulatur bei Versuchen, mit der Vagina etwas zu umschließen.
- Ausgeprägte und anhaltende oder wiederkehrende vulvovaginale oder pelvine Schmerzen bei der Circlusion/Penetration
- ausgeprägte und anhaltende oder wiederkehrende Furcht oder Angst vor vulvovaginalen oder pelvinen Schmerzen in Erwartung, während oder infolge der Circlusion/Penetration.
Die Symptome treten bei sexuellen Interaktionen auf, die eine Circlusion/Penetration beinhalten oder beinhalten könnten. Dies ist trotz ausreichenden, sexuellen Verlangen und Stimulation (z.B. „Vorspiel“) der Fall. Die Symptome sind nicht ausschließlich auf eine Erkrankung zurückzuführen, die sich negativ auf den Beckenbereich auswirkt und zu Schmerzen im Genitalbereich und/oder bei der Circlusion/Penetration führt. Außerdem liegt keine psychische Störung vor, auf welche das Problem zurückzuführen wäre. Ebenso können eine unzureichende vaginale Lubrikation oder postmenopausale/altersbedingte Veränderungen der vulvovaginalen Region als Ursache ausgeschlossen werden. Die Schmerzen sind mit klinisch bedeutsamen Leiden verbunden.[1]
Therapiemöglichkeiten
Um die sexuelle Gesundheit wiederherzustellen oder zu erhöhen, können sexuelle Störungen durch Sexualberatungen, individuelle Psychotherapie und/oder Paartherapie behandelt werden. Wenn die betroffene Person nicht in Beziehung lebt, bietet sich eine Einzelpsychotherapie.
Wann sollte man eine:n Therapeut:in aufsuchen?
Der ICD-11 stigmatisiert oder pathologisiert ungewöhnliche sexuelle Interessen nicht. Das heißt, solche Verhaltensweisen werden nicht negativ bewertet und als Teil von der Bandbreite menschlicher, sexueller Ausdrucksformen gesehen. (Vermeintlich) ungewöhnliche Gedanken, Fantasien, Impulse und Verhaltensweisen sind in Ordnung, solange die Personen, die daran teilnehmen, Einverständnis geben können und keine (bedeutsame) Fremd- oder Eigengefährdung besteht.
Dennoch kann es verstörend oder beängstigend für Menschen sein, ungewöhnliche sexuelle Interessen zu haben. Nicht zuletzt hat das damit zu tun, dass bis vor nicht allzu langer Zeit, ungewöhnliche Interessen mit dissexuellem Verhalten (siehe unten) „in einen Topf geworfen“ wurde. Daher scheuen sich Betroffene dann, die Interessen auszuleben und spalten einen Teil von sich ab, was zu großem Leid führen kann. Beim Ausleben kommt es dann zu Scham- und Schuldgefühlen. In einigen Fällen kann es dann auch gerechtfertigt sein, bspw. eine Anpassungsstörung zu diagnostizieren.
Das Ziel von Psychotherapie kann sein, die Entstehung ungewöhnlicher sexueller Interessen nachzuvollziehen, diese in die Biografie einzuordnen und die Selbstakzeptanz zu fördern. Dabei kann es auch sehr heilsam sein, die ungewöhnlichen Interessen klar von psychischen Störungen, welche mit kriminellem Verhalten einhergehen können, abzugrenzen.
Sollten die Betroffenen Interesse daran haben, die Neigungen mit anderen oder im Solo Sex auszuleben, kann es darum gehen, sich Fertigkeiten anzueignen, welche es ermöglichen das Ausleben in einer sicheren Art und Weise zu gestalten.
Während viele Kinks noch in Beziehungen integriert werden können, fällt Menschen mit Fetischen dies oft schwer, insbesondere wenn kaum oder kein Interesse an sogenannten „Vanilla“ Sex Praktiken besteht. Es kann dann auch passieren, dass die Person eine beeinträchtigt sexuelle Gesundheit (z.B. sexuelle Dysfunktion) erlebt, beispielsweise keine Erektion bekommen oder aufrechterhalten kann, weil die sexuellen Reize des „normalen Sex“ nicht stimmig sind. Hierbei kann man dann von einer sekundären Entstehung sprechen.
Ungewöhnliche sexuelle Interessen:
Kinky - Vanilla - Sadismus - Masochismus - BDSM - Dom und Dommes - Brats - Disziplin - Subs - Erniedrigung und Demütigung - Cuckolding und Cuckqueaning - Top, Bottom, Verse - Claustrophilie - Rollenspiel - Age Play - Impact play - Exhibitionismus - Voyeurismus - Cross-Dressing - Drag - Schuhfetisch - Fußfetisch - Lack und Leder - Furries - Plushies - Sissification
Wenn die ungewöhnlichen sexuellen Interessen die Person oder andere gefährden oder eine Ausnutzung von Personen besteht, die nicht einwilligungsfähig sind, dann spricht man von sogenanntem dissexuellen Verhalten. Hierbei handelt es sich um psychische Störungen, welche beim Ausleben auch strafrechtliche Relevanz haben. Es wird zwischen Paraphilien (ungewöhnliche Interessen OHNE dissexuelles Verhalten; keine psychische Störung) und paraphilen Störungen (ungewöhnliche Interessen MIT dissexuellem Verhalten; psychische Störung) unterschieden.
ICD11: „Paraphile Störungen sind durch anhaltende und intensive Muster atypischer sexueller Erregung gekennzeichnet, die sich in sexuellen Gedanken, Fantasien, dranghaften Bedürfnissen oder Verhaltensweisen äußern, die sich auf andere Personen beziehen, die aufgrund ihres Alters oder ihres Status nicht einwilligungsfähig oder -willig sind, und gemäß derer die Person gehandelt hat oder unter denen sie stark leidet. Paraphile Störungen können nur dann Erregungsmuster umfassen, die Verhaltensweisen als Einzelperson oder mit einwilligenden
Personen beinhalten, wenn diese mit ausgeprägtem Leiden verbunden sind, das nicht nur auf die Ablehnung oder befürchtete Ablehnung des Erregungsmusters durch andere Personen zurückzuführen ist oder mit einem bedeutsamen Verletzungs- oder Todesrisiko verbunden ist.“[1]
Die untenstehenden Kategorien dienen der Information und Abgrenzung zu den o.g. „legalen Kinks“. Sie können sich auch an uns wenden, sollten Sie sich unsicher sein, ob ihr Problem in den Bereich Dissexualität fällt, oder nicht. In Einzelfällen könnte es aber sinnvoller sein, eine forensische Ambulanz aufzusuchen. Hier werden wir Sie gerne unterstützen, sollten Sie dies wünschen.
[1] BfArM – ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung
ICD-11: „Die exhibitionistische Störung ist durch ein anhaltendes, fokussiertes und intensives Muster sexueller Erregung gekennzeichnet, das sich in anhaltenden sexuellen Gedanken, Fantasien, dranghaften Bedürfnissen oder Verhaltensweisen äußert und die Entblößung der eigenen Genitalien vor einer ahnungslosen Person an einem öffentlichen Ort beinhaltet, in der Regel ohne dass ein engerer Kontakt gewünscht oder beabsichtigt wird. Damit eine exhibitionistische Störung diagnostiziert werden kann, muss die betreffende Person diese Gedanken, Fantasien oder dranghaften Bedürfnisse ausgelebt haben oder darunter stark leiden. Die exhibitionistische Störung schließt ausdrücklich einvernehmliche exhibitionistische Verhaltensweisen aus, die mit dem Einverständnis der betroffenen Person(en) erfolgen, sowie gesellschaftlich sanktionierte Formen des Exhibitionismus.“[1]
Das „legale Pendant“ zur Exhibitionistischen Störung ist der Exhibitionismus. Hierbei zeigt sich jemand unbekleidet oder beim Sex und erlebt durch das Sich-Zeigen (zusätzliche) sexuelle Erregung. Dies kann in Form von einverständlichem Sexting passieren, oder aber auch in einem Sex oder Swinger Club. Sollte etwas „Nicht-Einvernehmliches“ ein Teil eines einvernehmlichen Rollenspiels sein, dann ist es wiederrum in Ordnung. Deutlicher gesagt: sollten Sie mit einer oder mehreren Partnerpersonen, die zuvor Einverständnis gegeben haben, so tun wollen, als ob kein Einverständnis vorliege, sind wie im Bereich des Rollenspiels, was nicht strafrechtlich relevant ist.
[1] BfArM – ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung Code: 6D30
„Die voyeuristische Störung ist durch ein anhaltendes, fokussiertes und intensives Muster sexueller Erregung gekennzeichnet, das sich durch anhaltende sexuelle Gedanken, Fantasien, dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen äußert, bei denen eine ahnungslose Person beobachtet wird, die nackt ist, sich gerade entkleidet oder sexuelle Handlungen vornimmt. Damit eine voyeuristische Störung diagnostiziert werden kann, muss die betreffende Person diese Gedanken, Fantasien oder dranghaften Bedürfnisse ausgelebt haben oder durch sie stark beeinträchtigt sein. Die voyeuristische Störung schließt ausdrücklich einvernehmliche voyeuristische Verhaltensweisen aus, die mit dem Einverständnis der beobachteten Person(en) erfolgen.“[1]
Das „legale Pendant“ zur Voyeuristischen Störung ist der Voyeurismus.
[1] BfArM – ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung Code: 6D31
„Eine pädophile Störung ist durch ein anhaltendes, fokussiertes und intensives Muster sexueller Erregung gekennzeichnet, das sich in anhaltenden sexuellen Gedanken, Fantasien, dranghaften Bedürfnissen oder Verhaltensweisen äußert und sich auf vorpubertäre Kinder bezieht. Damit eine pädophile Störung diagnostiziert werden kann, muss die betreffende Person diese Gedanken, Fantasien oder dranghaften Bedürfnisse ausgelebt haben oder durch sie stark belastet sein. Diese Diagnose gilt nicht für sexuelles Verhalten unter prä- oder postpubertären Kindern mit Gleichaltrigen, die dem Alter nach ähnlich sind.“[1]
[1] BfArM – ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung Code: 6D32
„Die sexuell-sadistische Störung unter Ausübung von Zwang ist durch ein anhaltendes, fokussiertes und intensives Muster sexueller Erregung gekennzeichnet, das sich in anhaltenden sexuellen Gedanken, Fantasien, dranghaften Bedürfnissen oder Verhaltensweisen äußert und mit der Zufügung körperlichen oder psychischen Leids an einer nicht-einwilligenden Person verbunden ist. Damit eine sexuell-sadistische Störung unter Ausübung von Zwang diagnostiziert werden kann, muss die betroffene Person diese Gedanken, Fantasien oder dranghaften Bedürfnisse ausgelebt haben oder durch sie stark beeinträchtigt sein. Die sexuell-sadistische Störung unter Ausübung von Zwang schließt einvernehmlichen sexuellen Sadismus und Masochismus ausdrücklich aus.“[1]
[1] BfArM – ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung Code: 6D33
„Die frotteuristische Störung ist durch ein anhaltendes, fokussiertes und intensives Muster sexueller Erregung gekennzeichnet, das sich in anhaltenden sexuellen Gedanken, Fantasien, dranghaften Bedürfnissen oder Verhaltensweisen äußert und das Berühren von oder Sich-Reiben an einer nichteinwilligenden Person an belebten öffentlichen Orten beinhaltet. Damit eine frotteuristische Störung diagnostiziert werden kann, muss die betreffende Person diese Gedanken, Fantasien oder dranghaften Bedürfnissen ausleben oder durch sie stark beeinträchtigt sein. Die frotteuristische Störung schließt ausdrücklich einvernehmliches Berühren oder Sich-Reiben aus, das mit dem Einverständnis der betroffenen Person oder Personen erfolgt.“[1]
[1] BfArM – ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung Code: 6D34
„Eine sonstige paraphile Störung mit nicht einwilligenden Individuen ist durch ein anhaltendes und intensives Muster atypischer sexueller Erregung gekennzeichnet, das sich durch sexuelle Gedanken, Phantasien, dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen äußert und bei dem der Fokus des Erregungsmusters auf anderen Personen liegt, die nicht willens oder in der Lage sind, ihre Zustimmung zu erteilen, das aber nicht spezifisch in einer der anderen genannten Kategorien paraphiler Störungen beschrieben wird (z. B. Erregungsmuster, die Leichen oder Tiere betreffen). Der Betroffene muss diese Gedanken, Fantasien oder dranghaften Bedürfnisse ausgelebt haben oder durch sie stark beeinträchtigt sein. Die Störung schließt ausdrücklich sexuelle Verhaltensweisen aus, die mit dem Einverständnis der betroffenen Person(en) erfolgen, vorausgesetzt, diese sind in der Lage, ihr Einverständnis zu geben.“[1]
[1] BfArM – ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung Code: 6D35
„Eine paraphile Störung, die Verhaltensweisen als Einzelperson oder mit einwilligenden Personen beinhaltet, ist durch ein anhaltendes und intensives Muster atypischer sexueller Erregung gekennzeichnet, das sich durch sexuelle Gedanken, Fantasien, dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen äußert und einwilligungsfähige Erwachsene oder einzelgängerisches Verhalten einbezieht. Eines der beiden folgenden Elemente muss vorhanden sein: 1) die Person ist durch die Art des Erregungsmusters stark beeinträchtigt und die Beeinträchtigung ist nicht einfach eine Folge der Ablehnung oder der befürchteten Ablehnung des Erregungsmusters durch andere; oder 2) die Art des paraphilen Verhaltens birgt ein bedeutsames Verletzungs- oder Todesrisiko für die Person oder den Partner (z. B. Asphyxiophilie).“[1]
[1] BfArM – ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung Code: 6D36
(veraltet, ugs.: Pornografie- oder Sex-Sucht)
Personen mit häufigem Verlangen, wechselnden sexuellen Kontakten und ungewöhnlichen Praktiken werden nicht (mehr) als psychisch erkrankt verstanden. Das ist eine längst überfällige Entwicklung in der Psychiatrie und Psychotherapie, aber auch allgemein in der Gesellschaft. Jedoch kann es sein, dass man unter „zu viel“ Verlangen leidet, sich als süchtig empfindet und somit eine psychische Erkrankung vorliegt.
Diese Störungen fallen entweder unter der „zwanghafte sexuelle Verhaltensstörung“ oder unter den sog. „Verhaltenssüchten“.
„Die zwanghafte sexuelle Verhaltensstörung ist durch ein anhaltendes Muster des Unvermögens gekennzeichnet, intensive, sich wiederholende sexuelle Impulse oder Triebe zu kontrollieren, was zu einem repetitiven Sexualverhalten führt. Zu den Symptomen gehören u. a., dass wiederholte sexuelle Aktivitäten so sehr in den Mittelpunkt des Lebens der Person rücken, dass Gesundheit und Körperpflege oder andere Interessen, Aktivitäten und Verantwortlichkeiten vernachlässigt werden, dass es zahlreiche erfolglose Bemühungen gibt, das repetitive Sexualverhalten zu reduzieren, und dass das repetitive Sexualverhalten trotz negativer Konsequenzen fortgesetzt wird, obwohl wenig bis keine sexuelle Befriedigung daraus folgt. Das Muster des Unvermögens, intensive sexuelle Impulse oder Triebe und das daraus resultierende repetitive Sexualverhalten zu kontrollieren, zeigt sich über einen längeren Zeitraum (z. B. sechs Monate oder länger) und verursacht ausgeprägten Leidensdruck oder bedeutsame Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, ausbildungsbezogenen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Sollte ein Leidensdruck durch moralische Auffassungen oder eine Ablehnung sexueller Impulse, Triebe oder
Verhaltensweisen generell bestehen, so genügt dies nicht, um diese Diagnosekriterien zu erfüllen.“[1]
„Störungen durch Verhaltenssüchte sind erkennbare und klinisch bedeutsame Syndrome, die mit Leiden oder Beeinträchtigungen persönlicher Funktionen einhergehen und sich als Folge wiederholter belohnender Verhaltensweisen entwickeln, bei denen es sich nicht um den Konsum von abhängigkeitserzeugenden Substanzen handelt. Zu den Störungen aufgrund süchtigen Verhaltens gehören die Glücksspielstörung und die Computerspielstörung, die sowohl Online- als auch Offline-Verhalten umfassen können.“[2] Da die Pornografie-Nutzungsstörung sich nicht auf Glücks- oder Computerspiele bezieht, wird sie ggfs. als „Sonstige näher bezeichnete Störungen durch Verhaltenssüchte“ diagnostiziert. Die Diagnose kann basierend auf Fragebögen oder Interviews erfolgen. In diesem Bereich sind Selbst-Diagnosen aber sehr häufig zutreffend.
In beide Kategorien passen auch andere Probleme, wie das „suchtartige“ Interagieren mit Content Creatorn oder sexuell explizite KI-Chatbots.
Nicht zuletzt kann auch ein problematischer Substanzgebrauch mit Sexualität interagieren.
[1]BfArM – ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung Code: 6C72
[2] BfArM – ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung Code: 6C5Y
Unter „Chem-Sex“ (Synonyme Party and Play, PnP; High and Horny) versteht man umgangssprachlich die Einnahme von Drogen beim Geschlechtsverkehr. Der Begriff entstand ursprünglich in der Szene, in der Männer Sex mit Männern haben. Die Praktik ist aber nicht auf diese Gruppe beschränkt. Hierbei werden bestimmte Drogen oder Substanzen kurz vor oder beim Sex mit dem Ziel der Erleichterung des Sexualkontakts, der Enthemmung und/oder sexuellen Luststeigerung konsumiert. Abgesehen von negativen Konsequenzen des Substanzkonsums können der Consent beeinträchtig sein und/oder gesundheitlich riskanterer Sex (z.B. ohne Kondom) praktiziert werden. Nicht zuletzt wird es für manche Betroffene uninteressant, nüchtern Sex zu haben, was zur Aufrechterhaltung vom problematischen Gebrauch beiträgt. Studien deuten darauf hin, dass Chemsex mehr einem Sucht- als einem Genussverhalten entspricht. Ein großer Teil derer, die Chemsex praktizierten, wollen ein geringes Selbstvertrauen und sexuelles Selbstwertgefühl überwinden (Bourne et al., 2014).[1]
[1] Bohn A, Sander D, Köhler T, Hees N, Oswald F, Scherbaum N, Deimel D, Schecke H. Chemsex and Mental Health of Men Who Have Sex With Men in Germany. Front Psychiatry. 2020 Nov 4;11:542301. doi: 10.3389/fpsyt.2020.542301. PMID: 33329083; PMCID: PMC7672155.
Bourne A, Reid D, Hickson F, Torres Rueda S, Weatherburn P (2014) The Chemsex study: drug use in sexual settings among gay & bisexual men in Lambeth, Southwark & Lewisham. London: Sigma Research, London School of Hygiene & Tropical Medicine. www.sigmaresearch.org.uk/chemsex
Mögliche Coaching-Themen im Bereich "Sexuelle Gesundheit"
Die Gesundheitsversorgung im Bereich sexuelle Gesundheit konzentriert sich nach wie vor auf Behandlung von Krankheiten und Beschwerden und dem Schutz vor sexueller Gewalt und sexuell übertragbaren Infektionen. Hierbei handelt es sich um extrem wichtige Bereiche. Es fehlt jedoch manchmal ein positiver Blick auf die sexuelle Gesundheit, welcher beispielsweise die Themen sexuelles Vergnügen, Erfüllung und Wohlbefinden beinhalten würde. Eine unerfüllte oder wenig erfüllte Sexualität ist kein Luxusproblem! In unserer Praxis bieten wir Ihnen auf Wunsch auch Beratung bzw. Coaching zu diesen „Sex-positiven“ Themen an, auch wenn (noch) keine diagnostizierbare Störung im Bereich der sexuellen Gesundheit vorliegt.
Ethical Non-Monogamy
z. B. Offene Beziehung und Polyamorie
Kommunikation über Sexualität in Partnerschaften verbessern
Förderung der sexuellen Selbstsicherheit
Unterstützung bei der Partner:innensuche
Sexualität in stressreichen Lebensphasen
z. B. nach Geburt eines Kindes
Sexualität nach biografischen Veränderungen
z. B. Eintritt in den Ruhestand, nach Scheidung oder Trennung

