Peripartale psychische Erkrankungen
Die Geburt eines Kindes stellt für die meisten Menschen ein lebensveränderndes Ereignis dar. Nicht ohne Grund werden die Wochen nach der Geburt umgangssprachlich auch als „viertes Trimester“ bezeichnet. Hormonelle Veränderungen im Wochenbett, Schlafmangel, etwaige Geburtsverletzungen, die Auseinandersetzung mit der eigenen Eltern-Rolle und Unsicherheiten im Umgang mit dem Kind können diese Zeit nicht nur zur körperlichen, sondern auch zur emotionalen Herausforderung machen.
Der Baby-Blues
Ein vielen Menschen bekannter Begriff, ist in diesem Zusammenhang der Baby-Blues (im Volksmund spricht man auch von „Heultagen“). Als Baby-Blues bezeichnet man ein postpartal (dt.: nach der Geburt) auftretendes, kurzlebiges Stimmungstief. Dieses Stimmungstief tritt drei bis fünf Tage nach der Geburt auf. Etwa die Hälfte aller Mütter sind hiervon betroffen.
Typische Symptome des Baby-Blues können sein:
- Stimmungsschwankungen (teils schneller Wechsel zwischen Euphorie und Verzweiflung)
- Erschöpfung, Müdigkeit, Antriebslosigkeit
- Häufiges Weinen
- Überforderungserleben
- Ängstlichkeit, Reizbarkeit
- Schlafstörungen
- die Symptome halten für einige Stunden bis wenige Tage an
Beim Baby-Blues handelt es sich um eine psychische Anpassungsleistung an eine physiologische (dt.: körperliche) Veränderung. Als ursächlich für das postpartale Stimmungstief wird die starke Hormonumstellung nach der Entbindung gesehen. Nach wenigen Tagen lassen die Symptome des Baby-Blues wieder nach. Eine spezifische Behandlung ist in der Regel nicht notwendig. Bei dieser Form des Baby-Blues spricht man nicht von einer psychischen Erkrankung.
Peripartale Depression / postpartale Depression / Wochenbettdepression
Anders verhält es sich bei der peripartalen (dt.: um die Geburt herum) Depression. Umgangssprachlich spricht man auch von postpartaler Depression oder Wochenbettdepression. Hält das Stimmungstief nach der Geburt über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen an, so ist abzuklären, ob es sich um eine Depression handelt. Der Begriff peripartal wird dabei genutzt, um fachlich richtig auszudrücken, dass bei einigen Müttern erste Symptome der Depression auch schon vor der Geburt auftreten können.
Typische Symptome einer peripartalen Depression können sein:
- Traurigkeit, häufiges Weinen
- Allgemeines Desinteresse
- Müdigkeit, Antriebslosigkeit
- Verlust des Selbstvertrauens / Selbstwertgefühls
- Unbegründete Schuldgefühle (häufig bezogen auf das Baby oder die Mutterrolle)
- Gedanken an den Tod / Suizidgedanken
- Psychomotorische Überaktivität oder Hemmung
- Konzentrations-, Appetit-, Schlafstörungen
- die Symptome bleiben über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen bestehen
Häufig geht die peripartale Depression auch mit zwiespältigen Gefühlen dem Kind gegenüber oder der Angst das Kind nicht lieben zu können einher. In unserer Gesellschaft findet nach wie vor eine Idealisierung des „Mutterglücks“ und der Mutterrolle statt (beispielsweise in den klassischen Medien wie Film und Fernsehen aber insbesondere auch in den neuen Medien wie Instagram oder Tiktok). Für betroffene Mütter führt dies häufig zu einem noch stärkeren Versagens-erleben und Schuldgefühlen.
Die Symptome einer peripartalen Depression können unterschiedlich stark ausgeprägt sein (man unterscheidet zwischen leicht, mittelgradig oder schwer). Nicht alle genannten Symptome müssen erfüllt sein. Die Symptome setzen häufig schleichend in den ersten Wochen nach der Geburt ein, können aber auch bis zu ein Jahr nach der Entbindung auftreten. Ist eine Depression ärztlich oder psychotherapeutisch diagnostiziert, sollte dringend eine Behandlung erfolgen.
Peripartale Angst- und Zwangsstörungen
Rund um die Geburt treten bei den meisten Eltern vermehrte Ängste und Sorgen auf. Das ist zunächst einmal normal. Nehmen diese Ängste allerdings überhand, belasten, schränken in Alltagssituationen ein und lassen nicht nach wenigen Tagen nach, kann es sich um eine peripartale Angststörung handeln.
Angststörungen können in unterschiedlicher Form und teils mit depressiven Symptomen gemischt auftreten. Ein häufig angstbesetztes Thema ist dabei das Wohlergehen des Kindes.
Bei etwa einem Drittel der peripartal psychisch erkrankten Mütter treten zusätzlich Zwangsgedanken auf. Dabei handelt es sich um zwanghafte Gedanken, Impulse und Vorstellungen bezogen auf Themen, die mit der eigenen Persönlichkeit oder den eigenen moralischen Vorstellungen unvereinbar sind (z.B. das eigene Kind zu verletzen). Zwangsgedanken lösen Angst aus, sind aber kein Ausdruck eines geheimen Wunsches den Gedanken auszuführen.
Ganz im Gegenteil entstehen Zwangsgedanken dadurch, dass ein intrusiver Gedanke (willkürliche, normale, aufdringliche Gedanken, die jeder Mensch kennt, z.B. „Ist der Wecker wirklich gestellt?“, „Habe ich die Fahrkarte wirklich eingesteckt?“, „Was, wenn mir das jetzt runterfällt?“) als besonders bedrohlich oder schlimm wahrgenommen wird. Intrusionen können auch als wiederkehrende Bilder auftreten.
Besonders anfällig für solch eine Überbewertung oder Fehlinterpretation sind Frauen, die einen sehr perfektionistischen Anspruch an sich selbst stellen oder dazu tendieren die Bedeutsamkeit von Gedanken zu überschätzen. Zusätzlich führen die Erfahrungen und hormonellen Veränderungen der Schwangerschaft und Geburt bei einigen Frauen zu einem überhöhten Verantwortlichkeitsgefühl, einer Gefahrenüberschätzung und einer Unsicherheitsintoleranz. Auch diese Aspekte fördern eine Überbewertung oder Fehlinterpretation von Intrusionen.
Peripartale Psychose
Die peripartale Psychose ist eine schwerwiegende psychische Erkrankung, deren Symptomatik meist in den zwei Wochen nach der Geburt beginnt. In etwa 1-2/1000 Geburten entwickeln Frauen eine psychotische Symptomatik. Die genaue Ausprägung der Symptome kann sich auch bei diesem Krankheitsbild individuell unterscheiden.
Merkmale einer postpartalen Psychose können sein:
- starke Antriebssteigerung und Erregung
- bizarre, verworrene Gedanken
- veränderte Wahrnehmung (Wahnvorstellungen, Halluzinationen)
- starke Angstzustände
Um Mutter und Kind zu schützen ist eine stationäre Behandlung einer postpartalen Psychose meist unumgänglich.
Wie werden peripartale psychische Erkrankungen behandelt?
Die Behandlung peripartaler psychischer Erkrankungen ist wichtig, um das Wohlergehen der Mutter zu verbessern. Gleichzeitig kann eine zeitnahe Behandlung auch notwendig sein, um eine Überlastung des gesamten familiären Systems und eine nachhaltige Störung der Mutter-Kind-Bindung zu vermeiden. Häufig ist es möglich die psychische Erkrankung mithilfe ambulanter Psychotherapie zu behandeln und die Symptome so deutlich zu verbessern. Je nach dem Schweregrad der Symptomatik kann unter Berücksichtigung etwaiger Einschränkungen durchs Stillen auch eine medikamentöse Behandlung angestrebt werden. Bei einer sehr schweren Ausprägung der Symptomatik (z.B. bei einer schweren depressiven Episode oder einer peripartalen Psychose) kann eine stationäre Behandlung notwendig werden.
Wichtig ist in jedem Fall neben der psychotherapeutischen Behandlung der Mutter auch ihre interaktionellen Fähigkeiten im Umgang mit dem Kind zu fördern und das gesamte Familiensystem in dieser hochsensiblen Phase zu begleiten. Dafür kann es hilfreich sein, zusätzliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Ein guter Anlaufpunkt für wohnortsnahe Hilfemaßnahmen kann die nachsorgende Hebamme oder eine Kontaktaufnahme mit der Beratungsstelle „Frühe Hilfen“ sein. Eine deutschlandweite Übersicht über Selbsthilfegruppen bietet zudem die Website schatten-und-licht.eu.
Können Väter peripartale psychische Erkrankungen haben?
Auch für Männer stellt die Geburt eines Kindes häufig eine massive Lebensveränderung dar. Obwohl es wenig Forschung bezüglich peripartaler psychischer Erkrankungen bei Vätern gibt, scheint gesichert zu sein, dass die Wahrscheinlichkeit einer psychischen Erkrankung nach der Geburt eines Kindes auch für Männer steigt. Dabei handelt es sich vorwiegend um depressive Erkrankungen. Männer, deren Frauen an einer peripartalen Depression leiden, haben eine zusätzlich deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit ebenfalls an einer Depression zu leiden. Auch bei Vätern ist eine psychotherapeutische Behandlung der Symptomatik dringend indiziert, um die Symptome zu lindern, eine Störung der Vater-Kind-Bindung zu vermeiden und eine Überlastung des familiären Systems zu verhindern.