KLEINE MACKE ODER SCHON ZWANGSSTÖRUNG?


“Habe ich eigentlich die Tür abgeschlossen?” oder “Ist der Herd wirklich aus?” – diese Gedanken kennen sicher viele von Ihnen und kontrollieren dann doch lieber zwei Mal. Und vielleicht kennen sie es auch, dass sie die Stufen beim Treppensteigen zählen oder auf dem Bürgersteig, vermeiden auf die Rillen zu treten. Solche Gewohnheiten und Rituale können völlig unbedenklich sein, aber auch erste Anzeichen für eine Zwangsstörung sein. In diesem Fall sind die anhaltenden, aufdringlichen Gedanken so quälend, dass zur Reduktion oder Neutralisation bestimmte Handlungen oder Rituale (Zwänge) ausgeführt werden müssen. Auch wenn Betroffene die Gedanken oder Handlungen als überflüssig und unsinnig erkennen, können sie sich dem nicht entziehen. Menschen, die unter Zwangsstörungen leiden, sind nicht nur den quälenden Gedanken und Ritualen ausgesetzt, sondern erfahren auch weitreichende Konsequenzen in ihrem täglichen Leben. Von ständiger Angst und Unsicherheit bis hin zu zwischenmenschlichen Konflikten und beruflichen Beeinträchtigungen: Zwangsstörungen können das individuelle Wohlbefinden deutlich beeinträchtigen und zu einer Einschränkung der Lebensqualität führen. Betroffene können im Extremfall nicht nur zu spät zur Arbeit kommen oder sich in Konflikten mit anderen wiederfinden, sondern auch ihre berufliche Leistungsfähigkeit und Konzentration deutlich beeinträchtigt sehen. Dies kann zu einem hohen Leidensdruck führen.

Zwangserkrankungen beginnen meistens in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Unbehandelt nimmt die Erkrankung oft einen chronischen Verlauf. Insgesamt sind ungefähr 1,5 % der Bevölkerung von einer Zwangsstörung betroffen.

Bei Zwangserkrankungen wird unterschieden, ob Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen im Vordergrund stehen.

Was sind Zwangsgedanken?


Zwangsgedanken sind wiederkehrende, aufdringliche und ungewollte Gedanken, Ideen oder Vorstellungen. Diese Gedanken können äußerst belastend sein und erhebliche Anspannung oder Angst verursachen, da sie häufig moralisch verwerfliche oder bedrohliche Inhalte haben. Meist werden die Gedanken als irrational oder unpassend wahrgenommen und die Betroffenen erkennen, dass diese Gedanken nicht ihren eigenen Wünschen oder Überzeugungen entsprechen.

Beispiele für Zwangsgedanken sind:

Angst vor Kontamination oder Keimen: Ständige Sorge darüber, schmutzig oder kontaminiert zu sein, selbst wenn keine objektive Gefahr besteht (”Was, wenn ich mir nicht richtig die Hände gewaschen habe und eine schlimme Krankheit bekomme?”)

Zwangsgedanken über Aggression oder Gewalt: Unkontrollierbare Gedanken über das Verletzen anderer Menschen oder sich selbst, obwohl die Person keine Absicht hat, dies tatsächlich zu tun (”Was ist, wenn ich meinem Kind etwas antue?”

Es ist wichtig anzumerken, dass Personen, die von solchen Impulsen betroffen sind, oft sehr gewissenhaft sind und solche Handlungen niemals ausführen würden.

Zwangsgedanken in Bezug auf Ordnung und Symmetrie: Fixierung auf die Notwendigkeit, Dinge in einer bestimmten Reihenfolge anzuordnen oder symmetrisch zu halten (”Es passiert etwas Schlimmes, wenn die Tassen nicht exakt sortiert sind.”)

Religiöse oder moralische Obsessionen: Ständige Befürchtungen, moralisch falsch zu handeln oder gegen religiöse Grundsätze zu verstoßen (”Gott könnte mich bestrafen, wenn ich etwas Falsches getan habe.”)

Zwangsgedanken bezüglich der eigenen Sicherheit: Übermäßige Ängste vor Unfällen, Krankheiten oder anderen Katastrophen (”Ist der Weg auch wirklich sicher? Ich darf kein Risiko eingehen”)

Grübelzwang: Schwierigkeiten, Entscheidungen zu treffen, da unentwegt über die möglichen Konsequenzen verschiedener Alternativen nachgedacht wird.

Was sind Zwangshandlungen?


Zwangshandlungen sind Verhaltensweisen, die immer wieder in einer ritualisierten Form ausgeführt werden müssen. Oft werden sie als Neutralisation bestimmter Zwangsgedanken durchgeführt, um beispielsweise ein vermeintliches Unglück zu verhindern.

Beispiele für Zwangshandlungen sind:

Waschzwänge: Häufiges und intensives Händewaschen oder Reinigen, oft begleitet von der Sorge vor Kontamination oder Keimen.

Kontrollzwänge: Übermäßiges Überprüfen von Dingen wie Türen, Fenstern oder Haushaltsgeräten, um sicherzustellen, dass sie geschlossen oder ausgeschaltet sind.

Ordnungszwänge: Zwanghaftes Ordnen von Gegenständen oder das Bedürfnis nach Symmetrie und Perfektion in der Umgebung.

Zählzwänge: Wiederholtes Zählen von Dingen oder Schritten, um ein Gefühl der Sicherheit zu erlangen.

Berührungs- oder Wiederholungszwänge: Das Bedürfnis, bestimmte Handlungen oder Bewegungen wiederholt auszuführen, oft in bestimmten Mustern.

Zwangshandlungen im Kopf: Mentale Rituale wie das Wiederholen bestimmter Worte oder Sätze, um die Gedanken zu beruhigen.

Was tun bei Zwängen? Therapiemöglichkeiten


Die Kognitive Verhaltenstherapie ist die Methode der Wahl bei Zwangsstörungen. Hier wird insbesondere die Technik “Exposition mit Reaktionsverhinderung” eingesetzt, bei der Betroffene schrittweise den Situationen ausgesetzt werden, die ihre Ängste auslösen, und gleichzeitig das zwanghafte Verhalten verhindert wird. Betroffene können so erleben, dass das Unterlassen der Rituale nicht zur befürchteten Katastrophe führt. Dies hilft, die angstauslösenden Gedanken zu bewältigen und die Notwendigkeit der Zwangshandlungen zu verringern. Zusätzlich werden im Sinne der kognitiven Umstrukturierung Maßstäbe von Bewertungen, z.B. beim Thema Schuld, überprüft. In schweren Fällen kann auch eine zusätzliche medikamentöse Behandlung sinnvoll sein, die den Serotoninspiegel im Gehirn beeinflusst. In jedem Fall ist die Inanspruchnahme von professioneller Hilfe unerlässlich, da sich Zwänge unbehandelt häufig immer weiter ausbreiten und sich auf weitere Lebensbereiche übertragen.